3. Kongress des Berufsverbandes Deutscher Rheumatologen, Teil 3, Dr. med. Wolfgang W. Bolten: NSAR und PPI oder Coxibe? Gibt es Differentialindikationen?
Der dritte Kongress des BDRh fand vom 11.-12. April 2008 in Berlin statt. Die Veranstaltung war mit 500 Experten aus ganz Deutschland gut besucht. Die Besucher hatten Gelegenheit, sich gezielt über für sie relevante gesundheits- und versorgungspolitische Themen zu informieren und andererseits den medizinischen Wissensstand bei ausgesuchten Themenbereichen aufzufrischen bzw. zu verbessern. Lese Sie heute den dritten Teil.
3. BDRh-Kongress am 11. bis 12.4.2008 in Berlin
Aus den zahlreichen Vorträgen wurden einige Präsentationen ausgewählt, die in rheuma-online vorgestellt werden:
Arzneimittelversorgung in der Rheumatologie
Prof. Dr. med. Klaus Krüger: Pharmakoökonomie (Teil 1, Montag, 28.April 2008)
Was der Rheumatologe wissen sollte
Prof. Dr. med. Gerd Horneff: Kinderrheumatologie für die Rheumapraxis (Teil 2, Montag, 5. Mai 2008)
Diagnostische und therapeutische Probleme in der Rheumatologie
Dr. med. Wolfgang W. Bolten: NSAR+PPI oder doch Coxibe? (Teil 3, Dienstag, 6. Mai 2008)
Prof. Dr. med. Erika Gromnica-Ihle: Basistherapie und Schwangerschaft Teil 4, Mittwoch, 7. Mai 2008
Prof. Dr. med. Klaus Krüger: Impfungen bei immunsupprimierten Patienten – was kann empfohlen werden? Teil 5, Donnerstag, 8. Mai 2008
Diagnostische und therapeutische Probleme in der Rheumatologie
Dr. med. Wolfgang W. Bolten: NSAR und PPI oder Coxibe? Gibt es Differentialindikationen? (Teil 3)
Auszug aus dem Vortrag:
NSAR werden mit Erfolg in der Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen eingesetzt. COX-2-selective NSAR wie Rofecoxib und Celecoxib haben im Vergleich zu traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika (tNSAR) ein vermindertes Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen.
Durch die Komedikation mit Misoprostol oder mit Protonenpumpenhemmern (PPI) kann das GI-Nebenwirkungspotenzial der tNSAR verringert werden. Bei der Abwägung von Nutzen und Risiken helfen die vorhandenen wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse, die individuellen gastrointestinalen ebenso wie die kardiovaskulären und ggf. hepatischen und anderen Risiken der vorhandenen Therapieoptionen einzuordnen.
Die in 8% bis 12% mit der NSAR-Einnahme assoziierten dyspeptischen Symptome werden in der Regel frühzeitig erkannt. Im Unterschied zu tNSAR treten unter der Therapie mit selektiven Cyclooxygenasehemmern (Coxibe) dyspeptische Symptome und gastrointestinale Ulzera, perioperative Blutungen und Aspirin-hypersensitive Asthmaanfälle seltener auf.
Unter den schweren unerwünschten NSAR-Wirkungen stellen gastrointestinale (1%
bis 2%) eine Besonderheit dar, weil sie sich ohne vorausgehende Warnsignale und mit hohem Komplikationspotenzial (gastrointestinale Blutung oder Perforation) entwickeln können.
Ohne gastroprotektive Maßnahmen sterben in Deutschland jährlich ca. 2000 Menschen an den Folgen gastrointestinaler tNSAR-Komplikationen. Die individuelle gastrointestinale Gefährdung hängt wesentlich vom Risikoprofil eines Patienten ab. Ohne GI-Risiko ist die Komplikationswahrscheinlichkeit gering. Prophylaxemaßnahmen sind dann nicht dringlich erforderlich.
Gastrointestinale Schutzmaßnahmen sind dagegen angezeigt, wenn gesicherte Risikoindikatoren vorliegen, wie:
- gastrointestinale Ulzera in der Anamnese
- vorhergehende NSAR-bedingte gastrointestinale Komplikationen (Blutungen, Perforationen oder Strikturen)
- höheres Lebensalter (>65 Jahre)
- schwere Allgemeinkrankheiten
- eine Komedikation mit
Kortikosteroiden,
Antikoagulanzien
selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmern (SSRI) - die Verwendung hoher NSAR-Dosen
- die gleichzeitige Anwendung von niedrig dosiertem Aspirin zur Thrombozytenaggregationshemmung
Die Helicobacter pylori Infektion gilt als unabhängiger gastrointestinaler Risikofaktor
Das gastrointestinale Risiko besteht etwa gleichbleibend während der gesamten NSAR-Behandlungszeit. Das Risiko kann durch pharmakologische Behandlungsmaßnahmen verringert werden. Dazu wird entweder das synthetische Prostaglandinanalogon Misoprostol komediziert. Bei RA-Patienten konnte dadurch die Rate schwerer GI-Komplikationen um mindestens 40% gesenkt werden 11. Allerdings kann der Einsatz von Misoprostol durch Diarrhöen und andere gastrointestinale unerwünschte Wirkungen limitiert sein.
Oder das Risiko wird durch die Senkung der in der Magen- und Duodenalulkuspathogenese entscheidenden Säureproduktion durch Komedikation mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI) verringert. Die tNSAR vermittelte (endoskopische) Ulkusrate sinkt auf die Placeborate ab. Ein Anstieg unterer gastrointestinaler Läsionen und klinischer Komplikationen wird in den relevanten Studien beobachtet.
Beim Einsatz von selektiven Cyklooxygenase-2 (COX 2)-Inhibitoren (Coxibe) anstelle der traditionellen NSAR (tNSAR) bleibt die COX 1- abhängige mukosale Synthese von gastroprotektiv kompetenten Prostaglandinen erhalten. Unter Coxiben werden deshalb in Outcomestudien gastrointestinale Komplikationen einschließlich klinisch relevanter GI-Ulzera um mehr als 50% seltener als unter den tNSAR Naproxen oder Ibuprofen gefunden.
Zusammenfassend präsentierte Dr. Bolten die
Merksätze zur GI-Problematik von NSAR:
- Das Ulkus- bzw. GI-Komplikationsrisiko wird unter Coxiben oder tNSAR+PPI ca. 50 – 70% niedriger gefunden als unter tNSAR alleine. Das endoskopische Ulkusrisiko sinkt sogar auf das Placeboniveau ab.
- PPI (im Gegensatz zu Coxiben) vermindern nicht das Risiko für den unteren GI-Trakt.
- Die Patientencompliance sinkt unter Kombinationstherapien ab.
- Das GI-Risiko ist unter Naproxen höher als unter anderen NSAR
- Das GI-Risiko steigt bei gleichzeitiger Verordnung von (low dose) ASS
- Bei sehr hohem GI-Risiko sollten beide pharmakologischen Präventionsprinzipien (COX-2 Selektivität und Hemmung der Säureproduktion) genutzt werden und Coxibe zusammen mit PPI verordnet werden.
- Die Indikation für den Einsatz von NSAR muss regelmäßig überdacht werden.
- Therapiekosten sollten kritisch aus volkswirtschaftlicher Perspektive (nicht allein aus der betriebswirtschaftlichen Sicht des Praxisunternehmens) gesehen werden. Investitionen in Präventivmassnahmen sind bei Risikopatienten eine sinnvolle gesamtwirtschaftlich Kosten sparende Investition, die allerdings das Praxisbuget alles in allem eher belastet.