Neonataler Lupus erythematodes
Von neonatal = neugeboren: Sonderform des systemischen lupus erythematodes bei Neugeborenen. Das Hauptsymptom und gleichzeitig das Hauptproblem ist eine angeborene komplette Blockierung der Reizleitung im Herzen (sogenannter kompletter AV-Block). Weitere Manifestationen sind Hautveränderungen, die denen bei systemischen Lupus erythematodes des Erwachsenen ähneln. Selten treten eine Hepatitis und eine Verminderung der Blutplättchen (Thrombozyten; Thrombopenie) auf. Neuere Untersuchungen konnten einen engen Zusammenhang zwischem dem Auftreten eines neonatalen Lupus erythematodes und dem Nachweis von Autoantikörpern gegen Ro/SS-A und La/SS-B bei der Mutter herstellen.
Das Auftreten eines kompletten AV-Blocks beim Feten ist mit einer hohen Sterblichkeit behaftet. Es wird eine Mortalität bis zu 30% angegeben. Die irreparable Herzschädigung tritt zwischen der 18. und 24. Schwangerschaftswoche auf. In dieser Zeit gelangt das mütterliche Ro/SS-A- oder La/SS-B-Antigen (genau: das 52-kD-SS-A und 48-kD-SS-B-Antigen; kD = kiloDalton und gibt das Molekulargewicht an) durch den Mutterkuchen (Plazenta) in den Blutkreislauf des Feten. Im Herzgewebe des Feten kommt es dabei durch eine Autoimmunreaktion zu einer Zerstörung des AV-Knotens (der AV-Knoten liegt im Herzen hinter dem Sinusknoten, der als Taktgeber den Herzschlag steuert, und ist für das Reiz-Leitungssystem des Herzens so etwas ähnliches wie eine elektrische Filterstation). Gleichzeitig kann es auch zu einer autoimmun ausgelösten Entzündung des Herzmuskels und des Herzbeutels kommen (fetale Myokarditis oder Perimyokarditis). Durch die Blockierung der Reizleitung im AV-Knoten wird der normale, schnelle Takt des Sinusknotens nicht mehr in den Herzmuskel weitergeleitet. Es kommt zu einem sehr langsamen Ersatzrhythmus mit der Folge, daß die Herzleistung für den Kreislauf des Ungeborenen u.U. nicht mehr ausreicht und es zu Zeichen der Herzinsuffizienz kommt. Wenn es gelingt, durch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiographie) die Diagnose rasch zu stellen, kann durch die sofortige Gabe von Cortison die Komplikation u.U. in ihren Folgen abgemildert werden. In einigen Fällen konnte eine Verbesserung der kindlichen Situation auch durch die zusätzliche Verminderung der Antikörper bei der Mutter erzielt werden.
Glücklicherweise kommt es meistens jedoch nicht zu einer vollständigen Zerstörung des AV-Knotens und einer vollständigen Unterbrechung der Reizleitung, so daß in der Mehrzahl der Fälle nicht das Vollbild des kompletten AV-Blocks auftritt.
Der komplette AV-Block wird häufig beim noch ungeborenen Kind zufällig während der Schwangerschaft durch einen niedrigen Herzschlag des entdeckt, oft um die 23. Schwangerschaftswoche. Die Empfehlungen gehen dahin, daß diese Beobachtung alleine noch nicht zu einer vorzeitigen Entbindung führen sollte, wenn es dem ungeborenen Kind sonst gut geht und keine Hinweise auf eine Dekompensation wichtiger Organe oder Organsysteme bestehen. Der Fetus muß aber engmaschig durch regelmäßige Echokardiographien überwacht werden.
Ein totaler AV-Block ist bei Neugeborenen normalerweise sehr selten; die Häufigkeit wird bei lebendgeborenen Kindern mit 1: 15.000 bis 1:22.000 angegeben. In 70-90% der Fälle ist ein neonataler Lupus erythematodes für diese Störung verantwortlich. In der Mehrzahl (mehr als 60%) sind die Mütter völlig beschwerdefrei, so daß diese Schwangerschaftskomplikation in der Regel nicht erkannt wird.
Nach der Geburt benötigen mehr als die Hälfte der Neugeborenen mit einem angeborenen AV-Block einen Herzschrittmacher bereits unmittelbar nach der Geburt. Bei den übrigen Kindern muß eine sorgfältige Überwachung erfolgen, da auch bei ihnen im Verlauf der Einsatz eines Herzschrittmachers notwendig werden kann.
Bei Müttern mit Antikörpern gegen Ro/SS-A oder La/SS-B ist das Risiko für ein Neugeborenes, an einem neonatalen Lupus erythematodes zu erkranken, glücklicherweise mit 5% relativ niedrig. Untersuchungen deuten darauf hin, daß daß Risiko noch niedriger liegt, wenn die Mutter zusätzlich Antikörper gegen dsDNA aufweist (doppelsträngige DNA).
Bei folgenden Konstellationen besteht in der Schwangerschaft aber grundsätzlich ein Risiko für die Entwicklung eines neonatalen Lupus erythematodes:
- Schwangere mit einer bekannten Autoimmunerkrankung des Bindegewebes (z.B. systemischer Lupus erythematodes, Kollagenosen, aber auch und gerade Sjögren-Syndrom und nicht zuletzt auch chronische Polyarthritis)
- Hohe Antikörperspiegel von Ro/SS-A oder La/SS-B im Blut, auch ohne Krankheitszeichen
- Vorausgegangene Schwangerschaften, bei denen das Kind einen AV-Block entwickelte
- immungenetische Prädisposition (Nachweis von HLA-DR3; siehe unter HLA-System)
Als Prophylaxe kommt bei Frauen mit erhöhtem Risiko und bereits eingetretener Schwangerschaft der Einsatz von Dexamethason in Betracht. Nach der Literatur ist eine Dexamethasongabe allerdings nur sinnvoll, wenn sie bis zur 17 Schwangerschaftswoche begonnen worden ist. Dexamethason kann die sogenannte Plazentarschranke passieren (die Plazenta ( Mutterkuchen) ist die Austauschfläche zwischen dem Kreislauf der Mutter und des ungeborenen Kindes) und damit in die Blutbahn des Feten gelangen. Dadurch sind eine Immunsuppression beim Kind und eine Unterdrückung der Autoimmunreaktion möglich. In seltenen Fällen werden auch eine sogenannte intrauterine Plasmapherese und ein Plasmaaustausch durchgeführt. Dabei wird mit einer entsprechenden Maschine eine Art Blutwäsche des kindlichen Blutes mit dem Ziel einer Entfernung der Autoantikörper vorgenommen und das antikörperbelastete Plasma durch normales Plasma ersetzt.
Die beste Prophylaxe ist die Behandlung einer Frau mit hohen Ro-SS-A oder La-SS-B-Antikörpern vor der Schwangerschaft. Eine mögliche Therapieempfehlung ist die Gabe von Cortison (Prednisolon) in einer Dosierung von 0.5 mg pro kg Körpergewicht über einen Zeitraum von 3 Monaten. Wenn die Therapie erfolgreich war, sollte die Cortisontherapie, allerdings in niedrigerer Dosierung, in der Schwangerschaft fortgesetzt werden, um das ungeborene Kind vor der Entwicklung der beschriebenen Komplikationen zu schützen.
Literatur:
Herreman G et al, Congenital atrioventricular block and maternal autoimmune diseases. Ann Med Interne (Paris) 1990; 141:234-8
Müller-Ladner U et al, Neonatal lupus erythematosus as an example of passively acquired autoimmunity. Immun Infekt 1992; 20:117-121
Finkelstein Y et al, Anti-Ro (SSA) and anti-La (SSB) antibodies and complete congenital heart block. Ann Med Interne (Paris) 1997; 148:205-8
Johansen AS , Herlin T, Neonatal lupus syndrome. Association with complete congenital atrioventricular block. Ugeskr Laeger 1998; 160:2521-5