r-o-special: Rheuma und Reisen
Sommerzeit – Reisezeit: Zum Sommeranfang deshalb ein r-o-special zum Thema Reisen mit rheumatischen Erkrankungen. Ägypten, Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, Dubai, Israel, Jordanien, Kolumbien, Neuseeland, Paraguay, Sri Lanka, Königreich Tonga, USA, Zypern – nur eine kleine Auswahl an Ländern von A-Z, die meine Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis, M. Bechterew, Psoriasis-Arthritis und verwandten Erkrankungen in den letzten Jahren bereist haben. Vor 10 Jahren fast noch undenkbar und von mir selber vor einigen Jahren noch als hochproblematisch beurteilt: Selbst Fernreisen in exotische Länder sind in Zeiten der therapeutischen Revolution in der Rheumatologie möglich geworden. Damit aus dem Abenteuer keine Katastrophe wird, sind eine Reihe von Aspekten zu beachten. Wir haben in diesem r-o-special die wichtigsten Punkte zusammengestellt.
Teil 1: Die Wahl des richtigen Reiseziels
Kärnten, Karibik oder Kasachstan - unsere Phantasie ist grenzenlos. Die Grenzen beginnen in dem Augenblick, wo nicht nur unsere Gedanken in die Ferne wollen. Das Träumen von fernen Ländern, fremde Welten und Kulturen kennenzulernen, der Gedanke, der Routine des alltäglichen Lebens und auch des alltäglichen Leidens zu entfliehen, entfaltet wahrscheinlich eine umso stärkere Sehnsucht nach der gefühlten Freiheit der Ferne, je mehr die rheumatische Erkrankung und die damit verbundenen Einschränkungen die Nähe des gewohnten Lebensraumes als zunehmende Einengung empfinden lassen.
Je schwerer die Erkrankung, je höher die damit verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen und Behinderungen, umso größer sind allerdings auch die Hürden, die bei solchen Reisen, insbesondere natürlich Reisen in ferne Länder, zu überwinden sind.
Es beginnt mit der Frage, ob vorgeschriebene Impfungen unter der medikamentösen Therapie überhaupt durchgeführt werden können, geht weiter mit dem Problem, wie man einen 12-stündigen Flug in der Touristenklasse übersteht und setzt sich fort mit solchen Fragen, ob man den zwar erwarteten, aber letztendlich doch verdrängten Durchfall überstanden hat, bis die nächste Lantarel-Einnahme ansteht und ob man das Mtx dann überhaupt nehmen sollte oder besser Pause macht und was ist mit dem Cortison und kommt es in der Folge der Mtx-Pause zu einem Schub oder kriege ich den Schub als Folge der Durchfallserkrankung und ...
Und wenn man dank Enbrel, Humira, Remicade, MabThera oder Orencia in einer kompletten Remission ist und sich daran wagen darf, die Anden zu erklimmen oder den OMORA-Kolibri in Feuerland zu besuchen: Bekomme ich die Medikamente zum Selbstspritzen heil durch den amerikanischen Zoll, weil ich einen Zwischenstopp in Chicago habe und wie klappt es überhaupt, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird und, und, und ... Wie soll das bei Remicade oder Orencia mit dem Timing bei den Infusionen laufen, wenn die Reise länger als 3 oder 4 oder 6 Wochen dauert? Und nicht zuletzt: Schaffe ich es überhaupt körperlich mit dieser Reise?
Was, wenn nicht? Was machen, wenn es zu einem Schub kommt? Ist der Wunsch zu einer solchen Reise nicht vielleicht sogar unverantwortlich? Habe ich als Rheumakranker vielleicht gar nicht das Recht, solche Reisen zu träumen und dann sogar auch noch zu realisieren? Ist diese Reise nicht ein unkalkulierbares und unverantwortliches Risiko?
„Sehr geehrter Herr Dr. Langer, herzliche Grüße aus Neuseeland. Die von mir gefürchteten logistischen Probleme haben sich bislang als unbegründet erwiesen. Enbrel „übernachtet“ jeweils in der Minibar, meistens passen die Kühlakkus sogar in das Gefrierfach der Minibar, sonst gebe ich sie abends an der Rezeption ab und bekomme sie morgens tiefgefroren zurück. Den langen Flug haben die Spritzen incl. Kühlakkus in der Kühltasche von Enbrel (kostenlos von der Firma) gut überstanden. Vielleicht machen meine Erfahrungen anderen Patienten Mut. Ihre N.N. …“
Vielen Dank, Frau N., für diese Postkarte vom Fox-Gletscher in Neuseeland. Ihre Erfahrungen sollten in der Tat anderen Patienten Mut machen, denn sie sind ein Beweis dafür, daß selbst mit oder besser gerade mit einer aufwendigen Therapie einer rheumatoiden Arthritis Reisen bis auf die andere Seite der Erde möglich sind.
Alaska oder Andalusien, Belgien oder Bali, China oder Chemnitz?
Welcher Patient sollte sich mit welcher rheumatischen Erkrankung und welcher Therapie bei seiner Urlaubsplanung eher in der Nähe orientieren, und wer kann eine größere Reise wagen? Und unter welchen Bedingungen?
Grundsätzlich sollte man mit einer rheumatischen Erkrankung bei der Auswahl des Reiseziels folgendes berücksichtigen:
1. Je stabiler sich die Erkrankung in einer vollständigen oder praktisch vollständigen Remission befindet, umso eher sind Reisen selbst in sehr ferne Länder und zu „exotischen“ Zielen möglich.
2. Je instabiler und unkalkulierbarer der bisherige Verlauf der Erkrankung war, je höher die Krankheitsaktivität ist und je mehr Komplikationen sich in der Vergangenheit sowohl krankheitsbedingt als auch behandlungsbedingt ergeben haben, umso vorsichtiger sollte man selbst bei Reisen innerhalb Deutschlands sein.
3. Einschränkungen bei der Wahl des Reiseziels können sich aber selbst bei einer langanhaltend stabilen kompletten Remission durch die Erkrankung selber, durch die laufende Therapie oder durch logistische Grenzen z.B. hinsichtlich der medikamentösen Therapie ergeben, auf die die anhaltende Remission zurückzuführen ist.
4. Krankheitsaktivität ist der eine limitierende Faktor, eine möglicherweise bestehende funktionelle Beeinträchtigung bzw. Behinderung ein davon unabhängiger Punkt, der bei der Reiseplanung im Auge behalten werden muß.
5. Je ungewöhnlicher das Reiseziel und je länger die Reisedauer ist, umso sorgfältiger und umso langfristiger müssen die Planung und Vorbereitung einschließlich intensiver rheumatologischer und reisemedizinischer Beratung erfolgen.
Klima
Klima und Wetter wird in der Volksmedizin eine Rolle bei rheumatischen Erkrankungen zugeschrieben. Wissenschaftliche Untersuchungen, die allerdings an Zahl spärlich sind, sprechen gegen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen klimatischen Bedingungen und rheumatischen Erkrankungen. Mit wenigen Ausnahmen können damit im Prinzip Patienten mit rheumatischen Erkrankungen in alle Klimazonen verreisen, ohne daß es zu einer Verschlimmerung ihrer Erkrankung kommen sollte.
Auf der anderen Seite spielen vor allem bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen die Temperatur und insbesondere auch die Luftfeuchtigkeit eine wichtige Rolle für die subjektive Befindlichkeit.
Die Erfahrungen gehen in die Richtung, daß feucht-warmes, tropisches Klima mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit von den meisten Patienten am schlechtesten vertragen wird. Dies sollten bei der Reiseplanung besonders solche Patienten berücksichtigen, die schon zu Hause im Sommer auf solche, bei uns allerdings viel weniger stark ausgeprägte Wetterlagen reagieren.
Kälte, speziell trockene Kälte, wird in der Regel von den meisten Patienten mit rheumatischen Erkrankungen besser oder sogar gut vertragen, wenn man von Patienten mit Arthrosen einmal absieht.
Eine Ausnahme bei den entzündlich-rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankungen sind alle Krankheitsbilder, die mit Durchblutungsstörungen oder empfindlich reagierenden Gefäßen einhergehen. Darunter zählen speziell Erkrankungen mit einer Raynaudsymptomatik, z.B. im Rahmen einer Sklerodermie, eines CREST-Syndroms, eines Lupus oder verwandter Erkrankungen aus der Gruppe der Kollagenosen, außerdem Erkrankungen aus der Gruppe der Vaskulitiden.
Patienten mit solchen Erkrankungen sollten auf Reisen in Gebieten mit niedrigen Temperaturen verzichten und nicht nur Sibirien, Alaska oder die Antarktis aus der Liste der Reiseziele streichen, sondern bereits bei mit Alpen-, Schweden- oder Norwegenurlauben während der kalten Jahreszeit sehr zurückhaltend sein.
Intensive Sonne
Intensive Sonne, genauer, intensive Bestrahlung mit ultravioletten Strahlen (UV-Strahlen), kann bei einigen rheumatischen und immunologischen Erkrankungen zu einer verstärkten Krankheitsaktivität, im ungünstigsten Fall sogar zur Auslösung einer richtigen Schubsituation führen. Dies gilt insbesondere für den systemischen Lupus erythematodes (SLE) und verwandte Erkrankungen aus der Gruppe der Kollagenosen.
Dieser Gesichtspunkt ist bedeutsam bei Reisen in südliche Länder (Süditalien oder Südspanien in Europa, aber auch Karibik in Übersee etc), weiterhin bei Reisen in höhergelegene Regionen (Alpen etc. in Europa, Anden in Südamerika oder Himalaya in Asien etc), da die Intensität der UV-Strahlung mit steigender Höhe zunimmt, nicht zuletzt in Regionen, die besonders stark vom „Ozon-Loch“ betroffen sind (Australien!).
Bei Urlaub am Wasser oder auf dem Wasser (z.B. Segelurlaub, Kreuzfahrtschiff) ist die UV-Exposition ebenfalls erhöht, da das Wasser die UV-Strahlung reflektiert.
Bei einer rheumatoiden Arthritis oder einem M. Bechterew ist die Situation normalerweise weniger problematisch, es sei denn, es läge eine ausgeprägte autoimmune Komponente oder sogar eine Überlappung mit Kollagenosen vor (im Rahmen sogenannter Overlap-Syndrome). Ob eine solche Konstellation vorliegt, sieht man unter anderem am Nachweis von antinukleären Antikörpern.
Einige Medikamente, unter den Antirheumatika insbesondere die Malariamittel Chloroquin (Handelsname z.B. Resochin) oder Hydroxychloroquin (Handelsname z.B. Quensyl), können die Lichtempfindlichkeit der Haut erhöhen („Photosensibilisierung“). Dies muß je nach Lage der Dinge bei der Auswahl des Reiseziels ebenfalls berücksichtigt werden. Zum Teil ist es aber in Absprache mit dem behandelnden Rheumatologen auch möglich, je nach Dauer für die Zeit der Reise mit dieser Therapie zu pausieren.
Impfungen
Einige Länder, z.B. in den tropischen Gebieten in Südamerika, fordern für die Einreise eine gültige Schutzimpfung gegen Gelbfieber. Da es sich bei dieser – ohnehin schon bei Kerngesunden nicht ganz unproblematischen Impfung – um eine sogenannte Lebendimpfung handelt, kann diese Vorschrift für eine Reihe von Patienten bedeuten, daß sie auf die entsprechenden Reiseziele verzichten müssen.
Dies betrifft speziell Patienten unter einer immunsuppressiven Therapie, d.h. einer Behandlung mit Medikamenten, die die Immunabwehr abschwächen. In erster Linie zu nennen sind hier die klassischen Immunsuppressiva wie Azathioprin (Handelsname z.B. Imurek), Cyclophosphamid (Handelsname z.B. Endoxan) oder auch höher dosiertes Cortison, aber auch Therapien mit Ciclosporin (Handelsname z.B. Immunosporin), Methotrexat, Leflunomid (Handelsname Arava) oder allen biotechnologisch hergestellten Substanzen (TNF-alpha-Blocker wie Adalimumab (Handelsname Humira), Etanercept (Handelsname Enbrel), Infliximab (Handelsname Remicade), IL-1-Rezeptorenblocker (Anakinra, Handelsname Kineret), B-Zell-gerichtete Therapie mit Rituximab (Handelsname MabThera) oder T-Zell-Kostimulationsblockade mit Abatacept (Handelsname Orencia)).
Analog gilt dies auch für weitere Impfungen mit Lebendimpfstoffen. Auf diese Thematik werden wir in einem eigenen Beitrag zu erforderlichen und empfehlenswerten Impfungen im Zusammenhang mit Reisen gesondert ausführlich eingehen.
Logistische Limitationen
Unter einer Infusionstherapie mit Infliximab in einer kompletten Remission – eine perfekte Voraussetzung, um nun den Traum einer Reise in ferne Länder zur Realität werden zu lassen. Wenn das Infusionsintervall 6 oder 8 Wochen beträgt, sollte die Zeit selbst für eine halbe Weltreise ausreichen (unabhängig davon, ob dies von der Erkrankung her überhaupt möglich und anzuraten ist). Was aber, wenn das Infusionsintervall kürzer ist? Die nächste Infusion im Ausland durchführen lassen? Zahlt das die Krankenkasse? Ist Infliximab im Zielland überhaupt verfügbar? Was passiert, wenn man zur nächsten Infusion wieder zu Hause sein wollte, aber ein Streik, technische Pannen oder Unwetter den Rückflug verzögern?
Ähnliche Fragen stellen sich bei nicht nur bei vergleichbaren Behandlungsformen, z.B. einer Infusionstherapie mit Abatacept, bei der die Infusionsintervalle in der Regel sogar kürzer als bei Infliximab liegen, sondern auch bei den anderen Biologika. Etanercept für 6 Wochen ist bei der 25-mg-Fertigspritze eine Menge Volumen. Und Kühlkette aufrecht erhalten gilt nicht nur hier, sondern auch bei Adalimumab oder Anakinra.
In den meisten Fällen sollte an solchen logistischen Herausforderungen die Reise nicht scheitern. Damit aber keine schlimmen Folgen eintreten, muß bei solchen Therapien die Reiseplanung besonders gut mit dem behandelnden Rheumatologen abgesprochen und selber perfekt und vorausschauend angegangen werden.
Infektionsrisiko
Ein Urlaub in Ägypten ohne die Rache der Pharaonen oder ein Mexikoaufenthalt ohne Montezumas Rache bedeutet fast schon, daß man die Reise nur per Video erlebt hat. Was für Gesunde lästig ist, kann sich bei einem Patienten mit einer schweren rheumatischen Erkrankung, wenn unter einer aufwendigen medikamentösen Therapie auch in einer kompletten oder nahezu kompletten Remission, zu einem erheblichen Problem bis hin zu einer mittleren Katastrophe aufschaukeln.
Für die Wahl des Reiseziels ist das mögliche Infektionsrisiko, was im übrigen auch solche Infektionskrankheiten wie Dengue-Fieber, Chicungunya, West-Nil-Fieber und ähnliche Krankheitsbilder umfaßt, ein wichtiger Gesichtspunkt. Dies betrifft insbesondere Patienten mit einer geschwächten Immunabwehr im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer Erkrankung selber oder in der Folge der Therapie (s.o. die Passage zu den immunsuppressiven Therapien).
Gesundheitssystem und ärztliche Versorgung
Den Amazonas flussaufwärts – es macht einen Unterschied, ob man mit hohem Fieber neben seinem Rucksack in der stickigen, feuchten Kajüte des kleinen Flußdampfers liegt oder in der Krankenstation des Kreuzfahrtschiffes mit Arzt an Bord, Telefonverbindung zum behandelnden Rheumatologen in Deutschland und mit dem ADAC in Aktionsbereitschaft.
Die Versorgung im Ernstfall, und sei es zunächst auch nur „telemedizinisch“, ist ein zentraler Punkt, um die Abenteuerreise des Lebens nicht zum letzten Abenteuer werden zu lassen.
An eine Reihe von Telefonaten kann ich mich erinnern, z.B. mit einer Kollagenose-Patientin aus Australien, einem Wegener-Patienten aus Kolumbien, einer Arthritis-Patientin aus Bolivien. Die Reisen waren abgestimmt, Plan A,B und C im Vorfeld abgesprochen, und dann passierte Ereignis D. Die Probleme waren zu lösen, Schlimmes ist nicht passiert. Zum guten Management gehörte aber unter anderem, daß das Praxispersonal Bescheid wusste und das Ferngespräch nicht auf Warteschleife legte, während im Äther die Dollars oder Euros durch den Satelliten rauschten. Kleinigkeiten, die von untergeordneter Bedeutung erscheinen mögen, die aber mit zu einer guten Planung gerade bei solchen Reisezielen und solchen Erkrankungen gehören.
Sommerzeit – Reisezeit: Wohin es auch gehen mag, ins heimische Balkonien, an den Baggersee, die Ostsee, die Nordsee, den Bayrischen Wald, die Müritz, Malta oder Malediven:
Das rheuma-online-Team wünscht allen eine wunderschöne Urlaubszeit und hofft, daß alle heil zurückkommen.
Teil 2 des r-o-specials „Rheuma und Reisen“ folgt am Sonntag, dem 29. Juni 2008 mit dem Thema Schutzimpfungen
Weitere geplante Themen u.a.:
Infektionsrisiko: Vorbeugung und Infektionsmanagement auf der Reise
Reisen mit Biologika
Wir freuen uns über Kommentare und sind auch gerne bereit, Fragen von Userinnen und Usern aufzugreifen, die sich im Zusammenhang mit dem Thema Reisen und rheumatische Erkrankungen stellen.