Spondyloarthritiden
Unter den Spondyloarthritiden (Morbus Bechterew und verwandte Krankheiten) wird eine größere Gruppe rheumatischer Erkrankungen zusammengefasst, die sich in bestimmten Symptomen und Befunden ähneln, zwischen denen allerdings auch z.T. erhebliche Unterschiede bestehen. Gemeinsames Bindeglied ist die häufige Mitbeteiligung der Wirbelsäule ("entzündliche Wirbelsäulenerkrankungen").
Definition
Der Begriff Spondyloarthritis, häufig SpA abgekürzt, leitet sich aus dem Griechischen ab: "Spondylo-" für Wirbelkörper bzw. Wirbelsäule, "arthr-" für Gelenke (Körpergelenke und kleine Wirbelgelenke) und "-itis" für entzündlich (in der Medizin enden alle entzündlichen Erkrankungen auf "-itis", wie Gastritis =Magenschleimhautentzündung, Bronchitis = Entzündung der Bronchien; Hepatitis = Leberentzündung etc.).
Er umfasst eine Gruppe von chronisch-entzündlichen Systemerkrankungen, denen folgende Merkmale gemein sind (siehe Klinische Merkmale der Spondyloarthritiden):
- Befall der Wirbelsäule
- Enthesitis (Entzündung der Sehnenansätze)
- Assoziation mit HLA-B27 (ein Genmarker, der häufig zusammen mit einer SpA vorliegt)
- Seronegativität (d.h. der Rheumafaktor ist im Blut nicht nachweisbar)
- Periphere, asymmetrische Oligoarthritis (Entzündung mehrerer Gelenke)
- Extraartikuläre Manifestation (Befall auch außerhalb der Gelenke)
Demnach sind Spondyloarthritiden also als eine Gruppe von Verkrankungen und nicht als nur eine einzelne spezifische Erkrankung zu verstehen.
Krankheitsbilder
Eine Spondyloarthritis kommt bei etwa 2% der hellhäutigen Bevölkerung vor, wobei der Morbus Bechterew das höchste Vorkommen aufweist. Entzündliche Wirbelsäulenerkrankungen betreffen bereits jüngere Menschen. Der Erkrankungsbeginn liegt oft im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, häufig sogar noch früher.
Die Entstehungsweise ist weiterhin nicht eindeutig geklärt. Man geht jedoch von einer engen Beziehung zwischen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen aus.
Die einzelnen Erkrankungen prägen sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten aus. Einige betreffen mehr das sogenannte Achsenskelett (Wirbelsäule und Gelenke oder Strukturen, die am Rumpf oder nahe am Rumpf gelegen sind), andere mehr die peripheren Gelenke (Knie, Sprunggelenke, Zehengelenke; Handgelenke, Fingergelenke); einige weisen eine ausgeprägte Entzündung im Blut auf (z.B. erhöhte Blutsenkung), einige andere wiederum nur eine ganz niedrige oder gar keine Entzündung im Blut (z.B. normale Blutsenkung). Einige äußern sich in erster Linie durch Entzündungen außerhalb des Bewegungsapparates, z.B. wiederkehrende Regenbogenhautentzündungen, Entzündungsschübe im Darm oder ausgeprägte Hautveränderungen.
Nach der Krankheitsursache bzw. nach typischen Grunderkrankungen und Symptomkonstellationen unterscheidet man deshalb einige Diagnosen:
- Ankylosierende Spondylitis = Morbus Bechterew als den "Stammvater" oder die "Kernkrankheit" der Spondyloarthritiden
- Psoriasis-Arthritis (Gelenk- und Wirbelsäulenrheuma bei Schuppenflechte, einer Hauterkrankung)
- Reaktive Arthritis (Gelenk- und Wirbelsäulenrheuma in der Folge von Infekten mit bestimmten Bakterien (vor allem nach Darminfekten und Infekten der Harnwege))
- den Morbus Reiter (Sonderform der infektreaktiven Arthritiden) mit der klassischen Reiter'schen Trias Enteritis oder Urethritis, Konjunktivitis und Arthritis, d.h. Durchfallserkrankung oder Harnröhrenentzündung, Bindehautentzündung und Gelenkentzündung
- Enteropathische Arthritiden (Gelenk- und Wirbelsäulenrheuma bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa etc.)
- Juvenile Spondyloarthritis
- Undifferenzierte Spondyloarthritis und weitere, seltenere Spondarthritiden im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen
Gemeinsamkeiten
Die verschiedenen Spondyloarthritiden weisen viele gemeinsame Merkmale auf.
Entzündlicher Rückenschmerz
Typisch ist der Rückenschmerz vom entzündlichen Typ. Ein entzündlicher Rückenschmerz ist ein Rückenschmerz, der vor allem oder vielleicht sogar nur in Ruhe auftritt, der sich besonders im Laufe der Nacht entwickelt und in den frühen Morgenstunden, um 2 Uhr nachts, 4 Uhr nachts oder manchmal auch erst kurz vor dem Aufstehen, dazu führt, dass man von den Rückenschmerzen wach wird. Wenn die Erkrankung sehr aktiv ist, d.h. die Entzündung stark ist, werden die Rückenschmerzen derart stark, dass man es im Bett nicht mehr aushält und aufstehen muss. Unter dem Umhergehen und unter der Bewegung nehmen die Schmerzen dann wieder etwas ab, so dass man sich dann u.U. sogar noch etwas hinlegen kann.
Die Schmerzen beginnen oft nicht akut, plötzlich, sondern entwickeln sich langsam und nehmen dann immer mehr zu. Viele Patienten denken zuerst, dass ihre Probleme mit dem Bett zusammenhängen, der Matratze oder ähnlichen Bedingungen. Der Kauf eines neuen Bettes oder einer neuen Matratze beseitigt die Beschwerden dann in der Regel jedoch nicht.
Oft beginnen entzündlich-rheumatische Wirbelsäulenerkrankungen gar nicht mit Schmerzen in der Wirbelsäule, sondern an anderen Stellen. Einige Patienten haben bereits viele Jahre vor der eigentlichen Wirbelsäulenerkrankung charakteristische Entzündungen an anderen Organen, z.B. eine Regenbogenhautentzündung (Iritis), eine Achillessehnenentzündung aus heiterem Himmel und ohne erkennbare Ursache, eine Kniegelenksschwellung, die man zunächst vielleicht auf den Meniskus schiebt, ohne sich so recht erklären zu können, wie das passieren konnte, oder starke Fersenschmerzen, hinter deren Ursache man nicht so recht kommt.
Blutwerte
Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass diese Erkrankungen "seronegativ" sind, d.h. der sogenannte Rheumafaktor ist bei ihnen im Blut nicht nachweisbar. Dafür ist bei ihnen oft ein anderer Bluttest positiv, der Nachweis des sogenannten HLA B27. Dies ist eine ererbte Eigenschaft, wie eine Blutgruppe, die die Anlage zur Entwicklung bestimmter rheumatischer Erkrankungen in die Wiege legt. Wenn man diese Eigenschaft, sozusagen diese Art Blutgruppe, besitzt, hat man ein erhöhtes Risiko, an einer rheumatischen Wirbelsäulenerkrankung zu erkranken, man kann aber auch sein Leben lang damit gesund bleiben. Umgekehrt gibt es Patienten mit einer rheumatischen Wirbelsäulenerkrankung, bei denen man dieses HLA B27 nicht nachweisen kann.
Charakteristische Krankheitszeichen
Beschwerden, Symptome, Krankheitszeichen finden sich neben dem typischen Rückenschmerz auch an weiteren charakteristischen Stellen des Körpers:
- Entzündungen der Kreuz-Darmbein-Gelenke ("Sakroiliakal-Gelenke"; Sacroileitis)
- Entzündungen der Gelenke zwischen Wirbelsäule und Rippen ("Costovertebral-Gelenke"; Costovertebralgelenks-Arthritis)
- Entzündungen der Gelenke zwischen Brustbein und Rippen ("Sternokostal-Gelenke"; Sternocostalgelenks-Arthritis)
- Entzündungen an Stellen, an denen es straffe Bandverbindungen gibt bzw. große Sehnen am Knochen ansetzen ("Enthesien"; " Enthesitis"; Enthesiopathie)
- Entzündungen großer Gelenke (Knie, Hüften, Schultern) (Arthritis)
- Entzündungen kleinerer Gelenke, dann besonders mit begleitenden Entzündungen eines ganzen Fingers oder einer ganzen Zeh (Daktylitis)
- Achillessehnenentzündungen
- Fersenschmerzen
- Entzündungen außerhalb des Bewegungsapparates. Charakteristisch sind:
- Regenbogenhautentzündung (Iritis)
- Harnröhrenentzündungen (Urethritis)
- Vorhautentzündungen (Balanitis)
- Darmentzündungen (Colitis)
- Hautveränderungen und Nagelveränderungen, z.B. Schuppenflechte (Psoriasis) oder überschießende Hornhautbildung (Hyperkeratose)
Klinische Merkmale der Spondyloarthritiden
Zu den klinischen Merkmalen gehören insbesondere die folgenden Symptome.
Entzündlicher Rückenschmerz
Bei etwa 75 % der Patienten mit einer Spondyloarthritis beginnt die Erkrankung mit einem klassischerweise im Lendenwirbelsäulenbereich schleichend beginnenden Rückenschmerz, der in Ruhe zu- und bei körperlicher Aktivität abnimmt. Häufig kommt es daher zu nächtlichen Schmerzen, vor allem in der zweiten Nachthälfte. Begleitend kommt es meist zu einer landen Morgensteifigkeit. Obwohl der entzündliche Rückenschmerz eins der Hauptmerkmalen einer Spondyloarthritis ist, weisen nur etwa 5% aller Patienten, die sich mit chronischen Rückenschmerzen vorstellen, tatsächlich eine Spondyloarthritis auf. Andererseits entwickeln nicht alle Spondyloarthritis-Patienten Rückenschmerzen.
Ankylose
Der Begriff Ankylose leitet sich vom griechischen Ausdruck für „gebückt“ ab. Gemeint ist eine Versteifung der Wirbelsäule aufgrund einer Verknöcherung der Bänder, die sich über die Wirbelsäule erstrecken und diese stabilisieren sowie der Gelenke zwischen Brustbein, Rippen und Wirbelsäule. Das erste Anzeichen hierfür ist häufig der Verlust der natürlichen Wirbelsäulen-Krümmung: Im tiefen Wirbelsäulenbereich nimmt die Krümmung ab, während sie in der Brustwirbelsäule verstärkt wird. Bei sehr schwerem Verlauf kann eine Vorwärtsbeugung der Halswirbelsäule folgen (siehe Abbildung).
Die Vermeidung eines Fortschreitens der Erkrankung zur Versteifung der Wirbelsäule ist ein Hauptanliegen in der Behandlung von Spondyloarthritis-Patienten.
Frakturen
Bei einer lange bestehenden Spondyloarthritis kommt es nicht selten zum Auftreten einer Osteoporose, einer Verminderung der Knochendichte. Die Folge können Knochenbrüche sein, welche die Wirbelsäule betreffen. Die Osteoporose entsteht zum einen wegen der eingeschränkten Beweglichkeit und zum anderen als Folge der Entzündungsreaktion.
Periphere Arthritis
Die Gelenkentzündungen, die nicht die Wirbelsäule betreffen, treten häufig an der unteren Extremität, also an den Beinen, und hier typischerweise asymmetrisch auf, d.h. auf beiden Seiten unterschiedliche Gelenke betreffend. Ein Befall der oberen Gliedmaßen tritt häufig bei einer Psoriasis-Arthritis auf.
Daktylitis
Unter einer Daktylitis versteht man den Befall aller Gelenke eines Fingers oder Zehs im „Strahl“. Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis werden hierbei auch die Fingerendgelenke befallen. Die Daktylitis wird typischerweise bei einer reaktiven, einer Psoriasis- oder einer undifferenzierten Arthritis gesehen.
Schmerzen am vorderen Brustkorb sowie am Becken- & Schultergürtel
Schmerzen der vorderen Brustwand entstehen bei ca 15 % der Betroffenen durch eine Entzündung der sternocostalen (Brustbein-Rippen), sternoklavikulären (Brustbein-Schlüsselbein) sowie manubriosternalen (Gelenk zwischen oberem und unterem Brustbein-Anteil) Gelenke.
Eine Schulter- & Hüftgelenksbeteiligung findet sich bei etwa 30 % aller Patienten.
Enthesitis
Als Enthesitis (aus dem Griechischen von –itis = Entzündung und enthetos = angesetzt, hineingesetzt) wird die Entzündung der Enthesien, also der Ansatzstellen von Sehnen, Bändern, Faszien und Gelenkkapseln am Knochen, bezeichnet. Sie ist ein Charakteristikum der Spondylarthritiden.
Die häufigste Enthesitis betrifft den Ansatz der Achilles-Sehne oder der sogenannten Plantar-Faszie (Sehnenplatte unter dem Fuß, die vom Fußballen bis zur Ferse zieht), was zu hinteren oder unteren Fersenschmerzen führt. Andere typische Stellen sind z.B. der Beckenkamm (oberer Rand des Darmbeins) oder die vordere obere Fläche des Schienbeins, das sogenannte Schienbeinplateau.
Eine Enthesitis im Frühstadium kann nur im MRT oder im Ultraschall sichtbar dargestellt werden.
Augenbeteiliung
Eine Uveitis tritt bei bis zu 30% der Patienten auf, die häufig HLA-B-27-positiv sind. Es macht sich durch Schmerzen und Rötung mit vermehrter Tränenproduktion und einer Lichtempfindlichkeit am betroffenen Auge bemerkbar. In diesem Fall muss schnell ein Augenarzt aufgesucht werden und eine Behandlung erfolgen, um bleibende Augenschäden zu vermeiden.
Hautmanifestation
Nagel- und Haut-Veränderungen sind typisch für Spondylarthritiden. Eine Schuppenflechte mit den einhergehenden Nagelveränderungen tritt nicht selten mit einer Psoriasis-Arthritis auf.
Magen-Darm-Trakt-Beteiligung
Entzündliche Magen-Darm-Trakt-Affektionen sind häufig und können sich in blutig-schleimigen Durchfällen bemerkbar machen.
Herz- und Lungen-Beteiligung
Am Herzen kann es in seltenen Fällen zu Rhythmusstörungen kommen, was zu Schwindel und Herzstolpern führen kann.
Atembehinderungen können in fortgeschrittenen Stadien durch eingeschränkte Brustwandbeweglichkeit auftreten.
Nierenbeteiligung
Sehr selten kann es zu Nierenfunktionseinschränkungen auf dem Boden von Eiweißablagerungen in der Niere (sogenannte Amyloidose) kommen.
Laborchemische Merkmale
Es gibt keinen laborchemischen Parameter, der beweisend ist für eine Spondyloarthritis. Die Entzündungsparameter CRP (C-reaktives Proteien) und BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) können in bis zu 40% der Fälle erhöht sein.
HLA-B27 ist eine ererbte Eigenschaft, wie eine Blutgruppe, die die Anlage zur Entwicklung bestimmter rheumatischer Erkrankungen in die Wiege legt. HLA-B27 ist zwar häufig positiv bei Spondyloarthritiden, andererseits aber kein Beweis der Erkrankung, da es in bis zu 10% auch bei der gesunden Bevölkerung vorkommt. Wenn man diese Eigenschaft, sozusagen diese Art Blutgruppe, besitzt, hat man ein erhöhtes Risiko, an einer rheumatischen Wirbelsäulenerkrankung zu erkranken, man kann aber auch sein Leben lang damit gesund bleiben. Umgekehrt gibt es Patienten mit einer rheumatischen Wirbelsäulenerkrankung, bei denen man dieses HLA B27 nicht nachweisen kann.
Bildgebung
Im konventionellen Röntgenbild können strukturelle Veränderungen dargestellt werden. Da diese aber erst Folge einer Entzündung sind, werden Auffälligkeiten in der Anfangsphase der Erkrankung nicht abgelichtet.
Eine Sakroiliitis, also eine Entzündungen der Kreuz-Darmbein-Gelenke, ist ein Haupterkennungsmerkmal der Spondyloarthritiden und wird erst einige Jahre nach Erkrankungsbeginn im Röntgenbild sichtbar. Typische Zeichen sind dabei oberflächliche Zerstörung von Gewebestrukturen (sogenannte Erosionen), Kalkanlagerungen (sogenannte Sklerosierungen), Veränderungen der Gelenkspaltweite oder knöcherne Versteifung (sogenannte Ankylose). Maßgeblich ist die Einstufung der radiologischen Auffälligkeiten nach dem sogenannten New-York-Schema.
An der Wirbelsäule kann man eine Abflachung und später Verkalkung der Wirbelkörper am vorderen Rand beobachten (sogenannte Romanus-Läsion). Bei fortschreitender Erkrankung kann es zu Knochenanbauten, den sogenannten Syndesmophyten, kommen, die der Wirbelsäule nachher das Bild eines Bambusstabs verleihen (siehe Abbildung).
Die Magnetresonanztomographie ermöglicht im Gegensatz zum Röntgenbild die Darstellung auch früher Stadien der Entzündung.
Klassifikation einer Spondyloarthritis
Zur Feststellung der Erkrankung bieten die sogenannten ASAS-Kriterien Hilfe, die im Gegensatz zu den früher benutzten ESSG- und Amor-Kriterien, das MRT als diagnostische Methode mitberücksichtigt.
Früherkennung und Online-Test
Der Rückenschmerz vom entzündlichen Typ ist das Hauptsymptom und der wichtigste diagnostische Hinweis auf eine Spondyloarthritis. Nach dem schottischen Rheumatologen Andrew Calin (Calin et al. 1977) ist der entzündliche Rückenschmerz durch fünf Merkmale gekennzeichnet, aus denen ein Online-Test für die Früherkennung von entzündlich-rheumatischen Wirbelsäulenerkrankungen entwickelt worden ist.