Juvenile idiopathische Arthritis
Die juvenile chronische Arthritis wird in 5 Untergruppen unterschieden. Eine Unterform ist die Oligoarthritis Typ I. Bei ihr sind in der Regel nur wenige Gelenke betroffen (oligo = griech. "wenig"), vor allem große und mittelgroße Gelenke (z.B. Kniegelenke, Sprunggelenke). Sie kommt hauptsächlich bei Mädchen im Kleinkindalter vor und beginnt meist vor dem Schulalter. Man spricht deshalb auch vom "Kleinmädchen-Typ" der juvenilen chronischen Arthritis. Die Prognose ist im Vergleich zu den anderen Formen der juvenilen chronischen Arthritis relativ günstig. Bei vielen Patienten hört die Erkrankung spätestens mit der Pubertät auf. Andererseits gibt es spezielle Probleme, die einer gezielten Überwachung und der Therapie bedürfen. Sie betreffen zum einen die Gelenke, zum anderen die Augen.
Gelenkproblematik
Gerade Kleinkinder sind oft noch nicht sehr gut in der Lage, ihre Schmerzen genau zu lokalisieren. Bei Gelenken, die äußerlich die Entzündung, z.B. Gelenkschwellung oder Ergußbildung (Gelenkerguß) , nicht genau erkennen lassen (entweder, weil die Entzündungszeichen nicht stark ausgeprägt sind oder weil das Gelenk der direkten Beobachtung nicht gut zu zugänglich ist, wie beispielsweise die Hüfte), wird die Beteiligung an der Arthritis deshalb manchmal nicht rechtzeitig erkannt. Die Kinder schonen dann die betroffenen Gelenke, vor allem bewegen sie sie nicht mehr im vollen Bewegungsausmaß. So kann es zunächst unbemerkt zu einer Funktionseinschränkung und zunehmenden, später nur noch mit großem Aufwand oder gar nicht mehr zu behebenden Kontrakturen und Gelenkfehlstellungen kommen. Diese ungünstige Entwicklung wird zusätzlich dadurch gefördert, daß gerade kleine Kinder Funktionseinbußen in einem Gelenk sehr gut durch andere Gelenke oder andere Bewegungsmuster ausgleichen und kompensieren können. Dies führt zum einen zur Fehlbelastung und z.T. auch zur Überlastung dieser Gelenke, zum anderen zur Angewöhnung von sogenannten Ausweichbewegungen oder von anderen ungünstigen Bewegungsabläufen, beispielsweise unharmonischen Gangmustern, die später nur sehr schwer wieder abtrainiert werden können. Die Kinder sollten deshalb in regelmäßigen Abständen rheumatologisch untersucht werden, am besten sogar beim Kinderrheumatologen (!!!), außerdem benötigen sie zumindestens in Serien eine qualifizierte Krankengymnastik bei einem Therapeuten, der sich mit der juvenilen chronischen Arthritis auskennt.
Augen
Tückisch ist bei der juvenilen chronischen Arthritis vom Oligo-I-Typ eine meist schleichend verlaufende Iridozyklitis (Regenbogenhaut-Entzündung; Iritis). Da bei ihr häufig äußerlich am Auge keine Entzündungszeichen wie eine Rötung der Augen zu sehen sind und die Kinder auch hier die verminderte Sehkraft auf dem entzündeten Auge durch das andere Auge gut kompensieren können, wird sie oft erst nicht erkannt und damit auch erst spät oder sogar zu spät behandelt, wenn es bereits zu bleibenden Schäden am Auge gekommen ist. Wichtig ist deshalb bei allen Kindern mit juveniler chronischer Arthritis vom Oligo-I-Typ eine regelmäßige augenärztliche Untersuchung mit Augenspiegelung.
Therapie
Die Therapie der juvenilen chronischen Arthritis vom Oligo-I-Typ erfolgt durch Medikamente, physikalische Maßnahmen (vor allem Kühlen der betroffenen Gelenke, Physikalische Therapie), Krankengymnastik, Ergotherapie und gegebenenfalls weiteren Behandlungsformen, die von der jeweiligen Problemlage abhängen.
Medikamente
Zur sofortigen Schmerzlinderung und zur Behandlung der örtlichen Entzündung verwendet man in erster Linie sogenannte cortisonfreie Entzündungshemmer (nicht-steroidale Antiphlogistika), am besten in Form eines Saftes, aber auch in Tablettenform. Diese Medikamente können Magenprobleme machen, die das Kind meistens nicht als solche bezeichnet. Die Eltern sehen diese Nebenwirkung häufig daran, daß die Kinder schlechter essen. Andererseits "verorten" Kinder viele Probleme gerne im Bauch und geben an, daß ihr Bauch weh tut, auch wenn dort alles in Ordnung ist. Für die Eltern und den Arzt ist diese Situation dann sehr schwierig. Auf der einen Seite müßte die medikamentöse Behandlung geändert werden, wenn sie wirklich mit Magennebenwirkungen verbunden ist. Auf der anderen Seite würde man dem Kind sehr schaden, wenn man eine solche Behandlung aus einer Fehleinschätzung der Situation heraus unterbricht, denn eine gute Schmerzlinderung und die abschwellende, anti-entzündliche Behandlung ist aus den oben genannten Gründen (z.B. Vermeidung von Schonhaltungen, Kontrakturen, Gelenkfehlstellungen) für den Augenblick und vor allem auch für die Zukunft des Kindes sehr wichtig.
Früher wurde die juvenile chronische Arthritis gerne mit Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin) in z.T. hohen Dosen behandelt. Da dieses Medikament viel stärker mit Magennebenwirkungen einhergeht als die modernen cortisonfreien Antirheumatika, sollte es heute bis auf Ausnahmefälle nicht mehr gegeben werden.
Wenn die Entzündung so stark ist, daß cortisonfreie Entzündungshemmer nicht ausreichen, oder wenn cortisonfreie Entzündungshemmer nicht vertragen werden, kommt man um den Einsatz von Cortison nicht herum. Bei Kindern ist man damit sehr zurückhaltend, da eine Cortisontherapie über einen längeren Zeitraum, vor allem auch mit höheren Dosen, mit Wachstumsstörungen verbunden ist. Wenn Cortison für einen längeren Zeitraum als Wochen oder wenige Monate notwendig ist, sollte eine langwirksame antirheumatische Therapie ("Basistherapie") in Erwägung gezogen werden.
Die genannten Nebenwirkungen von Cortison betreffen nur die sogenannte systemische Gabe (Tabletten, Zäpfchen; Cortisonspritzen in den Muskel als sogenannte Depot-Spritzen sollten überhaupt nicht gegeben werden, da hier diese Nebenwirkungen am stärksten sind). Sie treten nicht bei dem Einspritzen von Cortison direkt in ein betroffenes Gelenk auf. Diese Therapie ist im Gegenteil bei vielen Patienten mit juveniler chronischer Arthritis eine sehr gute Therapiemöglichkeit. Oft kommt die Entzündung durch diese Maßnahme in diesem Gelenk anhaltend zur Ruhe. Die Injektion sollte nur durch einen erfahrenen Arzt erfolgen, zu dem das Kind auch Vertrauen hat, damit es die Maßnahme nicht in allerschlimmster Erinnerung behält und möglicherweise notwendige zukünftige Gelenkinjektionen nicht zusätzlich erschwert werden.
Eine Cortisoninjektion in das Gelenk wirkt am besten, wenn das Gelenk im Anschluß daran für etwa 48 Stunden nicht stark belastet wird. Sehr wichtig ist deshalb die Ruhigstellung bzw. Entlastung des behandelten Gelenks. Bei der Injektion in gewichtstragende Gelenke (z.B. Knie) sollte für diesen Zeitraum Bettruhe eingehalten werden.
Physikalische Therapie
Entzündete, geschwollene oder überwärmte Gelenke sollten gekühlt werden. Wärme, insbesondere intensive Wärme in Form von Wärmepackungen, Fangopackungen, heißen Moor- oder Schlammpackungen o.ä. ist in der Regel schädlich, da sie die Entzündung noch weiter vorantreiben kann. Die Kälte kann am besten über Eisbeutel verabreicht werden, notfalls auch über Kältepackungen (Vorsicht: Wenn die käuflichen Gel-Packungen aus der Tiefkühltruhe kommen, sind sie sehr kalt und können im schlimmsten Fall zu oberflächlichen Erfrierungen der Haut führen, deshalb nie ohne Zwischenschicht wie ein Tuch auf die Haut legen! Eisbeutel sind deshalb besser, weil sie nie kälter als 0 ° werden können!).
Wichtige Tips:
Gelenke lange genug kühlen, da eine nur wenige Minuten dauernde Kühlung nur die Hautoberfläche abkühlt und durch einen Regulationsmechanismus des Körpers zu einer verstärkten Durchblutung der gesamten Region führt. Da das entzündete Gelenk ohnehin durch die Entzündung schon zu stark durchblutet ist, verstärkt man mit einer zu kurzen Kühlung diesen Effekt. Eine zu kurze Kühlung führt damit häufig im Anschluß zu mehr Entzündung und zu mehr Schmerzen, auf keinen Fall wird der gewünschte Effekt einer Entzündungsverminderung erreicht. Bei ausreichend langer Kühlung erreicht dagegen die Kälte die Tiefe. Sogenannte Tiefensensoren werden angeregt, die die beschriebene Mehrdurchblutung der Region verhindern. Das Ergebnis ist eine Verringerung der örtlichen Entzündung und eine Schmerzlinderung.
Grobe Regel: Ein großes Gelenk wie das Kniegelenk sollte etwa 20-30 Minuten gekühlt werden, kleinere Gelenke entsprechend etwas kürzer, z.B. Ellenbogengelenk oder Handgelenk etwa 15-20 Minuten.
Ein weiterer Tip: Oft wird die Eispackung so aufgelegt, daß sie einen direkt unter der Haut liegenden Knochen kühlt (z.B. Kniescheibe). Dies kann man in der Regel nicht lange aushalten. Deshalb die Eispackung auf die Weichteile legen (dort ist auch die Entzündung) und knöcherne Strukturen gegebenenfalls durch ein Tuch etwas isolieren.
Krankengymnastik
Krankengymnastik dient zum einen der Vorbeugung, z.B von Bewegungseinschränkungen, Gelenkversteifungen und Fehlstellungen, der Vermeidung von Ausweichbewegungen und ungünstigen Bewegungsmustern (siehe oben). Bei bereits eingetretenen Veränderungen dieser Art versucht sie eine Korrektur mit dem Ziel einer Wiederherstellung der normalen Verhältnisse. Falls sich eine völlige Korrektur nicht mehr erreichen läßt, übt sie möglichst günstige Kompensationen ein.
Diät
Genau wie bei der chronischen Arthritis des Erwachsenen sind die Forschungsergebnisse zu diätetischen Behandlungsmöglichkeiten spärlich. Es sind (zumindestens uns) keine überzeugenden wissenschaftlichen Daten bekannt, die für eine Heilung oder Besserung chronischer entzündlicher rheumatischer Erkrankungen durch eine spezielle "Rheuma-Diät" sprechen würden. Im Gegensatz dazu werden eine Reihe von sogenannten Rheuma-Diäten angeboten und gibt es eine unüberschaubare Fülle zu Ernährungsempfehlungen, die man bei rheumatischen Erkrankungen beachten sollte.
(Siehe unter Ernährung bei Rheuma; Literatur unter Diät und Rheuma)
Allgemein sollte man speziell bei Kindern auf folgende diätetische Gesichtspunkte achten:
- Unbedingt Übergewicht vermeiden
Vor allem, wenn gewichtstragende Gelenke betroffen sind, sind diese durch verstärkte Belastung und Überbeanspruchung zusätzlich gefährdet. Da sich manche Kinder wegen der Schmerzen weniger bewegen und damit weniger Kalorien verbrauchen, erhöht sich das Risiko für ein Übergewicht. Wenn sie ohnehin zu Übergewicht neigen, vielleicht auch noch "Frust-Esser" sind und / oder Süßigkeiten als "Trostpflaster" bekommen, beginnt ein gefährlicher Teufelskreis. Hier ist eine ganz anders gemeinte "Rheuma-Diät" sehr wichtig.
- Unbedingt Mangelzustände vermeiden
Andererseits sind entzündlich-rheumatische Erkrankungen oft schwere Allgemeinerkrankungen, die den Körper allgemein stark schwächen und sogar mit erheblichen Gewichtsverlusten einhergehen können. Genauso, wie man ein Übergewicht vermeiden sollte, muß andersherum auch darauf geachtet werden, daß man nicht zu stark an Gewicht verliert.
Eine spezielle Problematik vieler sogenannter Rheuma-Diäten besteht darin, daß sie "Weglaß-Diäten" sind (z.T.: "kein Fleisch", "kein tierisches Eiweiß", "kein Zucker", "kein Kakao", "keine Schokolade" etc.). Gerade bei Kindern, die sich ja in der Wachstums- und Entwicklungsphase befinden, sind diese Diäten nicht unproblematisch. Der Verzicht auf Zucker, Kakao oder Schokolade ist dabei die geringste Schwierigkeit, allerdings Kindern gegenüber unfair, die vorher Schokolade und Süßigkeiten essen durften und nun mit der Arthritis quasi doppelt "bestraft" werden. Eine fleischfreie Ernährung ist demgegenüber auch medizinisch kritischer zu sehen. Zwar ist selbst eine strenge vegetarische Kost grundsätzlich auch bei Kindern möglich. Sie erfordert aber hohe Kenntnisse im Ernährungsaufbau und der Ernährungszusammenstellung, damit keine Mangelzustände auftreten (nicht nur Eiweißmangelzustände!) und es nicht zu einem Muskelabbau, einer Schwächung des Immunsystems und Infektanfälligkeit und Entwicklungsstörungen kommt.
- Die Kinder nicht zusätzlich belasten
Eine Arthritis bei einem Kind führt für sich alleine schon zu eingreifenden und tiefgreifenden Veränderungen im Leben des Kindes und im Leben der ganzen Familie. Manchmal gerät durch eine solche Erkrankung das Leben einer Familie so aus der Balance, daß dies (in der letztendlichen Konsequenz) fast schlimmer sein kann als die eigentliche Erkrankung. Man sollte deshalb versuchen, das Leben nach Möglichkeit so normal fortzusetzen, wie es eben geht, um dem Kind und auch sich selber wenigstens hier so viel Kontinuität wie irgend möglich zu erhalten (vorausgesetzt, daß nicht bestimmte Dinge eindeutig schädlich sind). Diese Kontinuität betrifft die gesamte Lebensführung, die Gewohnheiten, den Lebensrhythmus, auch das soziale Umfeld (Freunde, Spielgruppe, Kindergarten etc.). Die altgriechische Medizin verstand unter Diätetik mehr als Ernährung, sondern meinte damit eine harmonische Lebensführung. Ein diätetischer Behandlungsansatz rheumatischer Erkrankungen in diesem Sinne ist sicherlich sehr überlegenswert, kann allerdings die übrigen Behandlungsmaßnahmen nicht ersetzen.
Siehe auch unter Fragen und Antworten.